Von Venedig lernen

Wer schon einmal die Kunst-Biennale in Venedig besucht hat, erinnert sich gern an das großzügig angelegte Ausstellungsgelände in den Giardinis. Es gibt keinen vorgezeichneten Weg durch diese weiträumige Parkanlage. Die Besucher und Besucherinnen schlendern von Pavillon zu Pavillon. Unter ihren Sandalen und Stiefeletten knirscht der Kies, Bäume und Sträucher spenden Schatten.

Die Länderpavillons, 28 an der Zahl, sprechen ihre eigene Sprache. Keiner will dem anderen gleichen, schließlich wurden sie im Geist der aufkommenden Nationalstaaten errichtet. Eröffnet wurde die 1. Internationale Kunstausstellung der Stadt Venedig bereits am 30. April 1895.

Mit ihren architektonischen Besonderheiten wetteifern die Pavillons bereits aus der Ferne um die Gunst der aus aller Welt anreisenden Schaulustigen. Je offensiver die jeweils ausstellenden Künstler und Künstlerinnen das äußere Erscheinungsbild der Pavillons in ihre Arbeiten einbeziehen, desto erwartungsvoller werden sie vom Publikum betreten.

Dieses venezianische Modell war für mich der Anstoß zur ersten öffentlichen Aktion von Hi2019. Ich wünschte mir einen Kulturaustausch der anderen Art. Frei nach dem Motto „Von Venedig lernen“ wollte ich einen kollektiven Blickwechsel auf das Hildesheimer Abrissgelände initiieren.

Dort, wo einst Gartenzäune die Landschaft in Parzellen unterteilt und diese als Privaträume voneinander abgegrenzt hatten, lud ich am 25. April 2019 zum öffentlichen Spaziergang ein. Das inzwischen nur noch von einem gemeinsamen Außenzaun umgebene Areal wartete darauf, von einem flanierenden Publikum durchstreift zu werden. 53 „Pavillons“ wollten in ihrer Einzigartigkeit entdeckt und erkundet werden.

 Statt Geld kostete es also Mut, um in die Open-Air-Ausstellung hineinzugelangen. Es ging um Hemmschwellen der anderen Art. Um Bauzäune und Vorstellungen wie „das ist doch nicht erlaubt“. Innere wie äußere Widerstände mussten überwunden werden. Körperlicher Einsatz war hier genauso gefragt wie entschlossenes Handeln und die Lust, sich mit verändertem Blick auf das Sperrgebiet einlassen zu wollen.